TISHK-Zentrum für Studien über Kurdistan:
Am 12. Januar 2024 versammelten sich namhafte Experten, Wissenschaftler und Studierende aus Europa, Deutschland, Kurdistan und dem Iran zu einem akademischen Symposium an der Universität Bonn. Das Symposium, mit dem Titel Politische Transformationsprozesse im Iran, wurde im Rahmen der Eröffnungsfeier des TISHK-Zentrums für Studien über Kurdistan mt der Unterstützung des M.A. Studiengangs Wirtschaft und Gesellschaft am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn veranstaltet.
Eröffnung des Symposiums:
Die Veranstaltung startete um 14:30 Uhr im Hörsaal I der Universität Bonn. Frau Vian Nesrat Alo eröffnete das Symposium und präsentierte das Programm. Frau Lala Kaychosrawi, Vorstandsmitglied des TISHK-Zentrums für Studien über Kurdistan, hielt die Eröffnungsrede und dankte der Universität Bonn sowie Herrn Dr. Günther Distelrath, dem Leiter des M.A. Studiengangs Wirtschaft und Gesellschaft am Institut für Orient- und Asienwissenschaften.
Panel I
Identity - subjectivity in the literary GuraniDer umkämpfte öffentliche Raum im Iran und Kurdistan
Identität – Subjektivität in der Literatur von Gurani
Im ersten Panel des Symposiums präsentierte Dr. Behrooz Chamanara, Vorsitzender des International Institute for the Study of Kurdish Societies (IISKS) in Göttingen, einen Beitrag zum Thema „Identität – Subjektivität in der Literatur von Gurani“. Sein Vortrag beleuchtete die Entstehung des Diskurses des „Selbstseins“ in der Gurani-Literatur. Historische Belege zeigen, dass kurdische Elite, politische und militärische Führer seit der Frühzeit des Islam ihre Identität über den islamischen Diskurs definierten. Die Mongolenzeit markierte den Beginn des „Schreibens“ der Gurani-Literatur.
Chamanara identifizierte drei Phasen der Selbstdefinition und Auseinandersetzung in der Gurani-Literatur. Die erste war die „Selbsterniedrigung“, indem versucht wurde, persische und arabische religiöse Werke zu übersetzen. Der zweite Schritt repräsentierte die Zeit des „Selbstseins und der Selbstachtung“, besonders betont durch Besaranis Gedicht. Der dritte Schritt war faszinierend, da das kurdische Subjekt nicht nur als anders identifiziert wurde, greift auch alle dominanten Diskurse an, die traditionell als Teil des kurdischen „Selbst“ definiert wurden. Sayyid Salih Maydashti, als führende Stimme, definierte Kurdisch nicht nur als Sprache der Offenbarung, sondern erklärte: „Auch wenn diese Meinung von mir gegen den Text des Korans ist, dann lasst doch eure Religion für euch und unsere Religion für uns sein!“.
Dr. Chamanara betonte auch die einzigartige kognitive Institution in den religiösen Texten der Yarsani, wo jeder der sieben Tanans eine Sprache schafft, darunter Kurdisch, Indisch, Persisch und Arabisch. Dies verdeutlicht die kulturelle Vielfalt und die Entstehung der kurdischen kognitiven Institution Yarsani.
Der umkämpfte öffentliche Raum im Iran und Kurdistan:
Im zweiten Abschnitt des Panels I präsentierte Dr. Hiwa Alidoust, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hildesheim, seinen Vortrag mit dem Titel „Der umkämpfte öffentliche Raum in Iran und Kurdistan“. In seiner Ausführung vertiefte er die Komplexität des öffentlichen Raums im Iran und verdeutlichte, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen auf der einen Seite politische Inhalte fordern, die auf mehr Demokratie, Gleichberechtigung und alternative Lebensformen abzielen. Gleichzeitig existieren jedoch ethnische Gruppen und Völker, die einen grundlegenden Kampf um ihre Identität führen und andere politisch-kulturelle Fragen in die Öffentlichkeit tragen. Diese Fragen erfahren jedoch oft eine Vernachlässigung und stoßen auf wenig Resonanz.
Dr. Alidoust betonte die Abwesenheit einer Perspektive, die diese vielfältigen Interessen vereinen könnte. Insbesondere hob er die Notwendigkeit hervor, den öffentlichen Raum als eine Art Rechtfertigungsordnung zu verstehen, in der Gründe vorgebracht, diskutiert und bewertet werden können. Diese Perspektive, die auf dem Prinzip einer demokratischen Ordnung basiert, fehlt jedoch in der Realität. Das Fehlen einer solchen demokratischen Struktur führt zu einem herausfordernden Kampf im öffentlichen Raum, der weder durch „sittsame“ Regeln geprägt ist, noch in der Lage ist, eine klare politische Richtung vorzugeben. Diese Abwesenheit wird als unabdingbar für das Verständnis der gegenwärtigen politischen Dynamiken im Iran und Kurdistan betrachtet.
Panel II
Political Islam, the West and the KurdsRojhelat’s diversification of measures of resistance and advancement of civic activism
Politischer Islam, der Westen und die Kurden
Im zweiten Panel des Symposiums hielt Prof. Dr. Said Shams, ehemaliger Leiter des Fachbereichs Soziologie an der Soran Universität und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des TISHK-Zentrums, einen Vortrag mit dem Titel „Der politische Islam, der Westen und die Kurden“.
Er stellte fest, dass der politische Islam in den letzten vier Jahrzehnten eine herausragende Rolle im öffentlichen Diskurs über die Politik im Nahen Osten gespielt habe, obwohl der politische Islam keinen Erfolg gehabt habe, weil er vor allem intellektuell gescheitert sei.
Prof. Dr. Said referierte auf dem Symposium über die langjährige Unterdrückung der Kurden im Mittleren Osten und ihre komplexe Beziehung zu den westlichen Mächten. Er betonte ihre Opfer für geopolitische Pläne und ihre kürzlich anerkannte Rolle im Kampf gegen den Islamischen Staat. Das Hauptthema war das Dilemma, das er als „Catch-22-Theorie“ bezeichnete, das die westlichen Mächte für die Kurden geschaffen haben, indem sie ihre Selbstbestimmung aufgegeben haben, um ihre eigenen Interessen zu schützen. Der Vortrag skizzierte auch den politischen Islam als modernes Phänomen und hob die Kurden als wichtige Akteure im Widerstand gegen diese Ideologie hervor. Besonders hervorgehoben wurde die Rolle Großbritanniens, das seine Versprechen an die Kurden nach dem Ersten Weltkrieg nicht eingehalten habe. Prof. Dr. Said betonte abschließend, dass der politische Islam in der Region an Einfluss verliere und die Kurden eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Demokratie spielen könnten. Er forderte den Westen auf, die Kurden als demokratische Alternative anzuerkennen und ihre Selbstbestimmung zu unterstützen. Insgesamt bot Prof. Dr. Saids Vortrag eine kritische Analyse der Geschichte der Kurden im Kontext westlicher Politik und des politischen Islams im Mittleren Osten.
Rojhelats Diversifizierung des Widerstands und Förderung des zivilen Aktivismus:
Im zweiten Teil des Panels II widmete sich Dr. Allan Hassaniyan der Rolle der Kurden im politischen Transformationsprozess im Iran. Dr. Hassaniyan widmete sich in seinem Beitrag der Rolle der kurdischen Frauen in der Befreiungsbewegung und der multidimensionalen Bewegung im Ostkurdistan. Er beleuchtete die Ereignisse der Jina-Bewegung und des Aufstands in Ostkurdistan nach der Ermordung von Zhina Amini im Jahr 2022. Er erklärte, dass das Jahr 2022 als entscheidend für die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft im Iran betrachtet werden kann. Besonders Ostkurdistan spielte eine führende Rolle in den Ereignissen, die mit diesem Wandel verbunden waren. Der Fokus lag auf der Jina-Bewegung und dem Aufstand, die als Reaktion auf die Ermordung von Jina Amini durch den iranischen Staat im September 2022 entstanden.
Dr. Hassaniyan analysierte den beispiellosen Widerstand, der als Ergebnis der Ausweitung des zivilen Aktivismus in Ostkurdistan in den letzten zwei Jahrzehnten entstand. Er betonte die herausragende Rolle der kurdischen Frauen in der nationalen und multidimensionalen Bewegung im Osten. Insbesondere hob er die Zhina-Bewegung und den Aufstand als Ausdruck dieser Bewegung hervor.
Die Bewegung in Ostkurdistan zeigte, wie die kurdische Zivilgesellschaft aktiv am politischen Transformationsprozess teilnimmt. Dr. Hassaniyan betonte die Bedeutung dieser Ereignisse für die Demokratisierung des Irans und illustrierte die Dynamik der sozio-politischen Bewegung Kurdistans.
Abschluss des Symposiums:
Der letzte Teil des Symposiums wurde von Siawasch Mohammadi, dem Vorsitzenden des TISHK-Zentrums für Studien über Kurdistan, abgeschlossen. In seiner Dankesrede würdigte er die Teilnehmer für ihr Engagement und ihre Beiträge zu den Diskussionen während des Symposiums.
Mohammadi unterstrich die Bedeutung des Symposiums als Plattform für den Austausch von Ideen und den Aufbau eines interdisziplinären Verständnisses für die aktuellen politischen Entwicklungen im Iran. Er betonte auch den Zweck des TISHK-Zentrums, solche Foren zu schaffen.
Schlussbemerkungen:
Das Symposium zu den politischen Transformationsprozessen im Iran, veranstaltet vom TISHK-Zentrum für Studien über Kurdistan mit der Unterstützung des M.A. Studiengangs Wirtschaft und Gesellschaft am Instituts für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn, bot einen umfassenden Einblick in verschiedene Facetten der politischen und kulturellen Dynamiken im Iran und in Kurdistan. Die präsentierten Beiträge spannten einen Bogen von literarischen Diskursen über die Identität der Kurden bis hin zu geopolitischen Überlegungen zum politischen Islam und den Beziehungen zwischen den Kurden und westlichen Mächten.
Die kritische Analyse der historischen Entwicklung der Gurani-Literatur, die Betrachtung des umkämpften öffentlichen Raums im Iran, die Auseinandersetzung mit dem politischen Islam und dessen Einfluss auf die Kurden sowie das Ergebnis der Ausweitung des zivilen Aktivismus in Ostkurdistan in den letzten zwei Jahrzehnten, boten den Teilnehmern eine breite Perspektive auf die aktuellen Herausforderungen und Chancen in der Region.
Das Symposium diente nicht nur als akademische Plattform, sondern auch als Forum für einen konstruktiven Dialog zwischen Experten, Wissenschaftlern und Studierenden. Die vorgestellten Analysen und Diskussionen trugen dazu bei, ein tieferes Verständnis für die komplexen Zusammenhänge in der Region zu entwickeln und boten Impulse für weiterführende Forschung und Diskussionen. Das TISHK-Zentrum für Studien über Kurdistan sieht sich als Wegbereiter für solche wissenschaftlichen Veranstaltungen, um das Bewusstsein für kurdische Angelegenheiten zu fördern und einen Beitrag zum Verständnis der Region zu leisten.
Fotoalben
An der Universität BonnSymposium: Politische Transformationsprozesse im Iran
Universität Bonn
Symposium: Politische Transformationsprozesse im Iran
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Eröffnung des Symposiums:
Frau Vian Nesrat Alo und Frau Lala Kaykhosrawi, Vorstandsmitglied des TISHK-Zentrums für Studien über Kurdistan
The first part of Panel I: Identity – Subjectivity in the Gurani literature
Presented by Dr. Behrooz Chamanara, Director of the International Institute for the Study of Kurdish Societies (IISKS)
Der zweite Teil des Panels I: Der umkämpfte öffentliche Raum im Iran und Kurdistan
Dr. Hiwa Alidoust, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hildesheim
The first part of Panel II: Political Islam, the West and the Kurds
Prof. Dr. Said Shams, former head of the Department of Sociology at Soran University and member of the Advisory Board of the TISHK Center for Kurdistan Studies
The second part of Panel II: Dr. Allan Hassaniyan, a senior lecturer specializing in Middle East Studies at the Institute of Arab and Islamic Studies (IAIS), University of Exeter, and a member of the Advisory Board of the TISHK Center
Abschlussrede:
Siawash Mohammadi, Vorsitzender des TISHK-Zentrums für Studien über Kurdistan