OPINION

Ökozid in Ostkurdistan; Wenn Umweltschutz zum Widerstand wird

Online veröffentlicht von TISHK Zentrum für Kurdistan Studien: 30. Juli 2025

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Piroti, Midia (2025): Ökozid in Ostkurdistan; Wenn Umweltschutz zum Widerstand wird. Kurdistan Agora. TISHK - Zentrum für Studien in Kurdistan.

Vom 25. bis zum 28. Juli 2025 versammelten sich Tausende Kurdinnen und Kurden in der Stadt Sine (Sanandaj) in Ostkurdistan (Kurdistan-Iran), um drei bei einem Waldbrand schwer verletzte und später verstorbene kurdische Umweltschützer zu beerdigen. Die Männer – der bekannte Anwalt und Leiter der Umweltschutzorganisation „Shna-ye Nawjin Kurdistan“, Hamid Moradi, der junge Aktivist Chiako Yousefinejad und Khabat Amini – waren am 24. Juli 2025 beim Versuch, einen Waldbrand am Berg Abidar unter Kontrolle zu bringen, schwer verletzt worden. Trotz fehlender staatlicher Unterstützung leisteten sie freiwillig Hilfe. Ihre Beisetzungen entwickelten sich zu Protesten gegen das iranische Regime: Die Menge rief Parolen wie „Der iranische Besatzer ist der Mörder unserer Jugend“. Dieses jüngste Ereignis wirft erneut ein Schlaglicht auf die systematische Vernachlässigung, Repression und gezielte Gewalt gegen Kurdinnen und Kurden – nicht nur im politischen und kulturellen, sondern auch im ökologischen Raum.

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  • Autoren/Ersteller: Midia Piroti

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  • Daten: Veröffentlicht (online): 30. Juli 2025

  • Institution: TISHK Zentrum für Studien über Kurdistan

  • Veröffentlichte Version: PDF/Online

  • Licence: CC-BY-NC 4.0

  • Copyright: © 2025 by TISHK Center for Kurdistan Studies is licensed under CC BY-NC 4.0 

Schlagwörter: Ökozid, Ostkurdistan, Umweltaktivismus, Staatliche Repression, Kurdistan und ökologische Zerstörung

Ökozid in Ostkurdistan; Wenn Umweltschutz zum Widerstand wird

Vom 25. bis zum 28. Juli 2025 versammelten sich Tausende Kurdinnen und Kurden in der Stadt Sine (Sanandaj) in Ostkurdistan (Kurdistan-Iran), um drei bei einem Waldbrand schwer verletzte und später verstorbene kurdische Umweltschützer zu beerdigen. Die Männer – der bekannte Anwalt und Leiter der Umweltschutzorganisation „Shna-ye Nawjin Kurdistan“, Hamid Moradi, der junge Aktivist Chiako Yousefinejad und Khabat Amini – waren am 24. Juli 2025 beim Versuch, einen Waldbrand am Berg Abidar unter Kontrolle zu bringen, schwer verletzt worden. Trotz fehlender staatlicher Unterstützung leisteten sie freiwillig Hilfe. Ihre Beisetzungen entwickelten sich zu Protesten gegen das iranische Regime: Die Menge rief Parolen wie „Der iranische Besatzer ist der Mörder unserer Jugend“. Dieses jüngste Ereignis wirft erneut ein Schlaglicht auf die systematische Vernachlässigung, Repression und gezielte Gewalt gegen Kurdinnen und Kurden – nicht nur im politischen und kulturellen, sondern auch im ökologischen Raum.

Innerhalb weniger Tage verloren Chiako Yousifinezhad, Khabat Amini und Hamid Moradi ihr Leben, als sie versuchten, einen verheerenden Waldbrand in den Bergen von Ostkurdistan zu löschen. Sie kämpften nicht nur gegen die Flammen, sondern gegen ein System, das ihnen jede strukturelle Unterstützung verweigerte – ein System, das kurdisches Leben systematisch entrechtet, marginalisiert und in Gefahr bringt. Sie starben in einem Kampf, den sie nie allein hätten führen dürfen. Es waren junge Männer, getrieben von der Verantwortung, ihre Heimat und Umwelt zu bewahren – in einem Staat, der weder ihre Existenz noch ihr Engagement schützt.

Doch ihre Geschichte zeigt, dass in Kurdistan Umweltschutz kein einfaches Engagement ist, sondern ein Akt des Widerstands. Es ist der Versuch, das eigene Land, die eigene Zukunft und die kollektive Identität gegen gezielte Angriffe zu verteidigen. Denn Kurdistan leidet nicht nur unter ökologischen Katastrophen, sondern unter einer Politik, die die kurdische Existenz als Ganzes bedroht. 

Jedes Jahr brennen die Wälder in den Bergen und Tälern Ostkurdistans. Diese Feuer sind jedoch keine natürlichen Ereignisse. Immer wieder berichten Anwohner und Aktivisten vor Ort, dass die Brände absichtlich gelegt werden. Verantwortlich dafür sind staatliche Sicherheitskräfte oder lokale Behörden, die nicht eingreifen. Die Islamische Republik Iran trägt dafür die volle Verantwortung.  Die Vernachlässigung und gezielte Zerstörung der Natur in Ostkurdistan ist Ausdruck einer politischen Strategie. Die Natur Kurdistans wird nicht als wertvoll betrachtet, sondern als Teil einer kulturellen Identität, die unterdrückt werden soll oder gar vernichtet werden muss. Was in Ostkurdistan geschieht, lässt sich als gezielte Umweltzerstörung bezeichnen. Hier handelt es sich um Ökozid. Die vorsätzliche und systematische Zerstörung ganzer Ökosysteme hat zur Folge, dass ganze Lebensräume unwiederbringlich zerstört werden. Die Form von Zerstörung hat nicht nur ökologische, sondern auch gesellschaftliche Folgen. Sie trifft die kurdische Bevölkerung im Kern, raubt ihre Schutzräume, Existenzgrundlagen und die tiefe Verbindung zu ihrer Natur und den Bergen. Die Aktivisten Chiako, Khabat und Hamid standen diesem Zustand nicht tatenlos gegenüber. Ohne professionelle Ausrüstung, ohne staatliche Hilfe und unter Lebensgefahr versuchten sie, das Feuer zu löschen. Was sie taten, war mutig und selbstlos. Jedoch kennt das iranische Regime diese nicht als Helden an, sondern werden Menschen wie sie kriminalisiert. Die Umweltaktivisten, Vereine und deren Mitglieder sowie Familien werden bei jedem Einsatz für die Umwelt verdächtigt, politisch aktiv zu sein. Besonders dann, wenn es sich um kurdische Aktivisten und Aktivistinnen handelt. Die Realität ist, dass viele Umwelt Engagierte in Kurdistan mit Repression rechnen müssen. Sie werden überwacht, bedroht, verhaftet und häufig unter erfundenen Vorwürfen verurteilt. Auch ihre Familien geraten unter Druck. In einem solchen Klima wird das Engagement zur Gefahr. Der Staat bekämpft nicht die Brände, sondern die, die sie löschen möchten. Er schützt nicht die Wälder, sondern verfolgt die Menschen, die sie retten wollen. Die Zerstörung der Umwelt ist keine Folge von Gleichgültigkeit, sie ist Teil einer umfassenden Politik der Kontrolle und Unterdrückung. 

Die Natur Kurdistans hat für die Menschen, die dort leben, eine tiefere Bedeutung. Sie ist nicht nur Umwelt, sondern Teil der Geschichte, der Kultur und der Identität. Die Berge und Täler sind nicht einfach nur Landschaften, sie sind Erinnerungsorte, sie tragen Lieder, Geschichten und Lebensweisen. Wer sie angreift, greift die Seele eines ganzen Volkes an. Deshalb ist der Umweltschutz in Kurdistan auch immer eine Frage der Selbstbestimmung.

Der Tod der drei jungen Männer ist kein Einzelfall. Immer wieder sterben Menschen bei dem Versuch, Feuer zu löschen. Überschwemmungen zu hemmen oder ihre Dörfer und Städte vor Zerstörung zu bewahren. Und immer wieder ist das kurdische Volk sich selbst überlassen. Keinerlei Unterstützung, ohne Schutz, ohne Gerechtigkeit. Die Welt schaut selten hin, wenn Kurdistan brennt. Dabei ist die Liste an Umweltkatastrophen in Kurdistan lang und die Zahl der Verantwortlichen, die zur Rechenschaft gezogen wurden, gleich null. Diese Gleichgültigkeit sollte nicht länger hingenommen werden. Die internationale Gemeinschaft, Umweltorganisationen und Menschenrechtsinstitutionen müssen erkennen, dass der Schutz der Umwelt in Kurdistan nicht von ökologischen Fragen zu trennen ist. Es geht nicht nur um die Natur, sondern um Gerechtigkeit, Menschenwürde und das Überleben eines Volkes. Auch innerhalb der kurdischen Gemeinschaft braucht es viel mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema. Der Schutz darf nicht nur einigen weniger überlassen bleiben. Es ist eine gemeinsame Verantwortung. Der Einsatz für die Umwelt ist Teil des Widerstands gegen Unterdrückung. Wer heute die Wälder rettet, schützt auch die Zukunft kommender Generationen. 

Ich verneige mich vor dem Mut von Chiako Yousifinejad, Khabat Amini und Hamid Moradi. Ihre Namen dürfen nicht vergessen werden. Und auch nicht der Grund, warum sie sterben mussten. Ihr Tod ist nicht nur eine Frage des Feuers, sondern das Ergebnis einer gezielten politischen Vernichtung, die sowohl die Natur als auch die Menschen in Kurdistan treffen soll.

Daher ist es umso wichtiger, dass das kurdische Volk, vor allem die kurdische Diaspora auf die systematische Zerstörung der Umwelt in Ostkurdistan die Öffentlichkeit aufmerksam macht. Das Wort Ökozit sollte gezielt genutzt werden. Dazu sollte man sich mit den nötigen Dokumenten und Beweismittel an internationale Medien und NGOs wie Amnesty International oder Human Rights Watch wenden.

Kulturelle Ausdrucksformen wie Film, Musik oder Austellungen können die Verbindung zwischen Naturzerstörung und der Bedrohung kurdischer Identität sichtbar machen.

Dokumentationen und Berichte sollten in jeder Sprache veröffentlicht werden, nicht nur in kurdisch. So könnte man mehr Fokus der Öffentlichkeit auf das Thema schaffen.

Die Sozialien Medien sollten gezielt genutzt werden, indem Hashtags genutzt und verbreitet werden und die Geschichten der Betroffenen nochmals Sichtbarkeit erlangen. Vernetzung mit internationalen Ökozitinitiativen, diese haben Zugang zu UN-Gremien und rechtlichen Wegen. Durch das Verwenden der Namen von getöteten Aktivisten wie Chiako, Khabat und Hamid in Gedenkaktionen, Austellungen oder Online-Memorials kann eine Wiedererkennung und Solidarität geschaffen werden.

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